Erklärfilme und Simple Show Videos (synonym auch Legetrickvideo oder Motion Graphics genannt) liegen voll im Trend. Sie bieten Orientierung, sind knackig und anschaulich. Selbst die komplexesten Themen lassen sich in dem audio-visuellen Format in eine verständliche Erklärform gießen. Das liegt vor allem daran, dass Bilder viel schneller und unmittelbarer verstanden werden als Worte. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, sagt eine alte Binsenweisheit. Visuelle Informationen werden viel verdichteter wahrgenommen, da sie gleichzeitig verarbeitet werden. In Zahlen: Die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit beträgt ca. 15 Bits pro Sekunde. Der Mensch kann ca. 40-50 Bit pro Sekunde bewusst verarbeiten. Das entspricht ca. 220 Wörtern pro Minute. Aufgenommen werden über die Sinne allerdings ca. 11 Millionen Bits. Man geht davon aus, dass die unbewusst aufgenommenen Informationen trotzdem verarbeitet werden. Neuere Forschungsergebnisse aus dem Neuro-Marketing Umfeld scheinen das zu belegen. Zudem besteht ein “…enger Zusammenhang zwischen visuellen Verarbeitungsvorgängen und Emotionen.”
Grund hierfür ist, dass die verbale Wahrnehmung des Menschen sequenziell arbeitet, während visuelle Informationen von unserem Gehirn simultan gelesen werden können. Sequenzielles und räumlich-visuelles Denken sind in der Tat zwei grundverschiedene Organisationsformen im Denken, die die Art und Weise, wie Menschen die Welt betrachten, maßgeblich beeinflussen. Während das sequentielle Wahrnehmen ein Schritt-für-Schritt Denken ist, bei dem das zeitliche und analytische Vorgehen im Vordergrund steht, befähigt das räumliche Denken zur gleichzeitigen Verarbeitung von Informationen und Konzepten, und fördert so die Verwendung von Phantasie und Erzeugung neuer Ideen durch die neuartige Kombination vorhandener Tatsachen (kreatives Denken). Kurz das räumlich-visuelle Denken funktioniert als ganzheitliches System, in dem das Wissen miteinander räumlich verbunden ist. Das sequentielle Denken funktioniert also analytisch, während das räumlich-visuelle synthetisierend wirkt. So wird die Welt im räumlich-visuellem Denken über konkrete Dinge und Elemente wahrgenommen, die im Hier und Jetzt präsent sind und zu etwas Neuem zusammengesetzt werden, wo sequentielle Wahnehmung begrifflich definiert und analysiert.
Diese Vorteile der visuell-räumlichen Wahrnehmung und Informationsverabeitung gegenüber dem sequentiellen Denken machen sich Erklärfilme zu nutze. Entscheidend darin ist die Gesamtkomposition des Bildes und in welchem Kontext die Bildelemente zueinander stehen. Diese Tatsache wurde, zum Beispiel, bei der VUCX Produktion “All about Lyoness” berücksichtigt. Als modularer Baukasten spricht der Film nicht nur unterschiedliche Zielgruppen an, sondern auch mit 60 Sprachversionen unterschiedliche Kulturkreise. So trifft man in der heutigen Medienlandschaft überall auf Infographiken: in Werbespots, in Wissensshows, im Schulungsangebot von Firmen oder als Bedienungsanleitung auf Websites. Ein Kultbeispiel ist etwa Jonny Kellys Film zur Kunst des ewigen Prokrastinierens (Erledigungsblockade, Aufschiebung). Auch die Erklärvideos von Patric Clair, die in der TV Sendung “Hungry Beast” der ABC zum Einsatz kommen sind absolute Musterbeispiele. Sie widmen sich so komplexen Fragen wie: “How Green is your internet” oder “Stuxnet: Anatomy of a Computer Virus”. In der Aufbereitung dieser abstrakten Themen bedient sich Clair visueller Metaphern wie viraler Strukturen oder der militärischen Ästhetik von Computerspielen in dem Stuxnetvideo und gehören zu den komplexesten und ausgefeiltesten Infographicfilmen, die es im Moment gibt. Wie Clair gegenüber dem Page Magazin erklärt: ”Es fasziniert mich, die Verbindung zwischen den verschiedenen Informationen zu finden. Egal, ob man einen Charakter oder ein Unternehmen besser begreift, die gesellschaflichen Auswirkungen einer neuen Technologie realisiert oder sich die humanitären Folgen eines Konflikts vor Augen führt – es ist einfach aufregend, diese Daten visuell aufzubereiten und dazu beizutragen, dass wir die Welt besser verstehen.” (Page # 04.12, S. 37)
So wird deutlich, dass der Erfolg nicht zu letzt auch durch das Design gesteuert wird. Für Abwechlung sorgen Techniken und Ästhetiken, die sich frei aus anderen Künsten und Gestaltungsformen wie Film, 3-D Gestaltung, Animation, Illustration, Photographie und Musik bedienen. Entsprechend unterschiedlich und vielfältig können Erklärfilme aussehen, je nachdem welche graphische oder technische Umsetzung zur Anwendung kommt oder wo der Film zum Einsatz gebracht wird.
Das wunderbare an Erklärfilmen ist, dass sie sich so maßgeschneidert gestalten lassen. Von einfachen und simplen Techniken bis zu komplexen Themen und Gestaltungen ist alles drin, was sich im weiten Spektrum des crossmedial Möglichen widerspiegelt. Die einfachste Art einen Erklärfilm zu machen, ist zum Beispiel, eine weiße Fläche von oben zu filmen. Eine Voice-Over spricht und die Inhalte werden auf der Fläche visualisiert, entweder in Form einer Liveskizze oder mit Legetricktechniken: alles ohne Schnitte. Diese einfache Machart spricht an, gerade weil sie so authentisch wirkt.
In der von Arte Creative produzierten Webserie “From Sketch”, etwa, fassen Kreative ihre Visionen kurz, indem sie diese auf ein DIN A3 Blatt skizzieren und die Kamera die Zeichnung von oben filmt . Ähnlich funktionieren ‘Simpleshows’, wo die graphischen Elemente nicht direkt auf die Fläche gezeichnet, sondern hin und her geschoben werden. Die Länge des Clips, der richtige Rythmus und die passende Musik sind für das Gelingen solcher Simpleshows ebenso entscheidend, wie die passende Optik der Graphiken. Auf einem ganz ähnlichen Prinzip basiert zum Beispiel der von VUCX gestaltete AachenMünchener Erklärfilm zum Thema Rundumschutz und Vermögenspolicen, in dem zum gesprochenen Text eine Hand und ein Stift die Inhalte direkt mit wenig Drumherum visualisieren.
Filme wie diese machen vor, wofür der Erklärfilm steht: authentisch und einfach Inhalte zu vermitteln, selbst wenn die Inhalte komplex sind. Um dieses Ziel zu erreichen, greifen Erklärfilme oft auf Elemente zurück, die bewusst ‘handmade’ erscheinen. In dem ebenfalls für die AachenMünchener Versicherungen von VUCX produzierten Erklärfilm “Schöne Zeiten mit Klaus und Eva” werden graphische Elemente, wie Mond und Sterne oder Teller und Würstchen, an Holzstöckchen ins Bild geschoben. Auch die Elemente sind so gestaltet, als ob sie grob von Hand ausgeschnitten wurden. Der graphische Kontrast zwischen perfektem Fotorealismus und rudimentärer Animation ‘am Stöckchen’, lockert die Atmosphäre des Films auf und vermittelt so selbst ein schwieriges Thema wie Vermögensaufbau und Sicherheitsplanung einfach und locker.
Ein weiteres illustratives Beispiel ist die Erklärkampagne von Google zur Einführung von Google Chrome. In dieser Serie von Erklärfilmen setzt das Motion Graphics Studio 1st Avenue Machine ganz bewusst auf den Kontrast zwischen nüchterner Hightech-Ästhetik und einer handmade Basteloptik, wie selbstgebaute Beschleunigungsmechanismen und gestrickte Oberflächen . Gut gemacht, haben solche Filme schnell das Potenzial sich als Virals im Netz zu verbreiten.
Der Phantasie sind also kaum Grenzen gesetzt in der Gestaltung und entsprechend eröffnen sich eine Vielzahl von Möglichkeiten und Anwendungsgebieten für Erklärfilme, die sich crossmedial vernetzen lassen. Ob in Editorials, Spielen, Explanimations, Unternehmenswebseiten, Cross-Mediaauftritten, Onlinekampanien oder Online-Illustrationsserien: in all diesen Bereichen lassen sich Erklärfilme und Infographiken wunderbar einsetzen und mit Hilfe von Motion Graphics Techniken (MGFX) umsetzen. Auf die Techniken gehen wir im nächsten Teil weiter ein. Gestalterisch muss man in jedem Fall die Offenheit betonen, weshalb sich Erklärfilme auch so vielseitig einsetzen lassen und sich so dankbar für gestalterische Einflüsse von Außen zeigen. Neben Comic-, Retrostyle, Handmadelook liegt auch die Sauberkeit und Klarheit des Computeranimierten Bildes (CGI) von der Optik her im Trend, wie zum Beispiel in dem von VUCX produzierten Imagefilm zur Lyoness AG. Um den Betrachter aber nicht zu sehr an einen Stil zu gewöhnen, wechseln sich hier unterschiedliche Looks ab. Sie lassen sich formal unterscheiden durch Art (Style/Technik), Farben & Kontraste, Bewegungen, Formen und Größen. Doch dazu mehr im nächsten Teil.
Autoren: Ercin Filizli und Mareike Sera